Europa, das Meer und die Welt. Akteure, Agenten, Abenteurer

Europa, das Meer und die Welt. Akteure, Agenten, Abenteurer

Organisatoren
Stiftung Deutsches Historisches Museum; Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Geschichte, Universität Köln; Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e. V.
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2014 - 08.11.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Simone Kahlow, Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven

Etwa siebzig Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Es prägte den Menschen schon früh: Er nutzte dessen Ressourcen und erschloss es als Verkehrsraum, um neue Territorien zu erkunden, Handel zu betreiben und seinen Einflussbereich zu vergrößern. Belege für diese Interaktionen finden sich in geschwächter Form bereits im Neolithikum. Bis zum 8. Jahrhundert v. Chr. können derartige Belege insbesondere durch archäologische Funde nachgewiesen werden. Während die Zeit der Völkerwanderung Wissenschaftler gewissermaßen im Dunkeln lässt, was den Nachweis von Wahrnehmung und Nutzung der Meere betrifft, mehren sich die Belege im Mittelalter sukzessive. Mit der europäischen Überseeexpansion ab dem 15. Jahrhundert wurde Europa schließlich zum globalen Machtfaktor, ein Prozess, der noch immer kontrovers diskutiert wird.

Die zweitägige Tagung „Europa, das Meer und die Welt“, veranstaltet vom Deutschen Historischen Museum, dem Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Geschichte der Universität Köln und der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V., beschäftigte sich mit den Akteuren, Agenten und Abenteurern, die maßgeblich dazu beitrugen, das Meer zu verstehen, nutzbar zu machen und reziproken Austausch zu betreiben. Der Grund zu dieser Veranstaltung lag insbesondere in der Konkretisierung eines gemeinsamen Ausstellungsvorhabens zum Thema „Europa und das Meer“, das voraussichtlich im Jahr 2016 erstmals im Deutschen Historischen Museum gezeigt werden wird und an dessen Konzeption zahlreiche Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen beteiligt sind.

Einleitend betonten ALEXANDER KOCH (Berlin) und JÜRGEN ELVERT (Köln) den Schwerpunkt einer kontinentalen Perspektive auf den Aspekt der maritimen Geschichte für die Ausstellung. Um dies bestmöglich zu beleuchten, wurden Häfen als Ausgangspunkt für denkbare Themen vorgeschlagen, unter anderem mit der Frage, welche kulturgeschichtliche Bedeutung Häfen auch für Städte im Hinterland hatten. „Häfen“, so Elvert, „stehen im Kommunikationsprozess zwischen Europa und der Welt“. Und es waren und sind die Akteure, welche die Entwicklung der Welt beeinflussen bzw. beeinflusst haben. Eine Auseinandersetzung mit ihnen, wie etwa den Handelskompanien der Portugiesen, Niederländer und Engländer, versprach der Vortrag von DIETMAR ROTHERMUND (Heidelberg). Seine Vorstellung einer Agency, der die Handlungsfreiheit von Akteuren innewohnte, die ihr Wissen wiederum einer public domain zur Verfügung stellen konnten, wurde nicht kritiklos aufgenommen. Insbesondere stellte sich die Frage einer genauen Definition des Begriffes. In der anschließenden Diskussion bestand überwiegend Konsens darin, dass die Bezeichnung „akteursorientierter Ansatz“ deutlich präziser sei als das Wort „Agency“.

Eine Auseinandersetzung mit Meer und Häfen in der europäischen Antike lag dem Vortrag von ULRICH FELLMETH (Stuttgart) zugrunde. Ihm zufolge sind Hafenanlagen bereits aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend bekannt, allerdings fehlt es, bis zum Einsetzen der Schriftlichkeit im 8. Jahrhundert v. Chr., an aussagekräftigen und reflektierten Quellen, um Aussagen zur politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung dieser Anlagen zu tätigen. Erst mit den Epen des Homer ändert sich dieser Zustand. Das Licht, welches Homer auf die Wahrnehmung und Nutzung des Meeres im 8. Jahrhundert v. Chr. wirft, scheint jedoch befremdlich. Fellmeth betonte, dass den Griechen das Meer unheimlich erschien, die Helden Homers in der Regel keinen Fisch, sondern Fleisch aßen und es weiterhin an einem Wort für „Meer“ mangelte. Der spätere Begriff thálassa bedeutet lediglich salziges Wasser. Gleichzeitig hob Fellmeth die Bedeutsamkeit jener Epoche hervor, in der Homer lebte. Das 8. Jahrhundert v. Chr. markierte demnach eine Zeit des Umbruchs, ähnlich der europäischen Expansion im 15./16. Jahrhundert. Nahe der Küste entstanden Poleis mit merkantilen Zentren auf der Agora und mit allen dazugehörigen infrastrukturellen Notwendigkeiten. Das stark zunehmende Bevölkerungswachstum führte zudem zur Gründung zahlreicher Kolonien und folglich zu starken Migrationsbewegungen. Sie waren allein durch Schifffahrt, durch geographische und nautische Kenntnisse, und damit durch die Pflege einer public domain des Wissens möglich.

MARKUS A. DENZEL (Leipzig) widmete sich einem Teilaspekt merkantiler Wirtschaftsgeschichte, genauer den Edelmetallen „als Katalysatoren des frühneuzeitlichen Seehandels“. Er betonte die Suche nach Edelmetallen als Motivation für Entdeckungsfahrten europäischer Handelsmächte über die Meere. Gold und Silber aus Amerika und Afrika waren sowohl in Europa als auch in Asien begehrt. Von besonderer Bedeutung für den reziproken Handel war jedoch das Silber. Es besaß in Asien einen deutlich höheren Wert als in Europa und wurde daher gehandelt, um relativ günstig an asiatische Produkte, vor allem an Tee zu gelangen. Dies hatte agrarische Folgen, etwa durch den zunehmenden Anbau von Teepflanzen anstatt von Nahrungsmitteln, welche die chinesische Bevölkerung ernähren konnten. Der Silberpreis blieb über die Jahrhunderte relativ stabil, bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Als die Gold-Silber-Relation europäische Maßstäbe annahm, wurden andere Zahlungsmittel, wie Blei und englische Wollstoffe erforderlich.

Von Akteuren völlig anderer Art berichtete WILLIAM MARSHALL (Stirling). Er begegnete dem sensiblen Thema der Sklaverei vor dem Hintergrund französischer Handelsstädte. Im Fokus des „French Atlantic“ standen insbesondere die Orte Nantes, Saint Malo und La Rochelle, ihre Geschichte, ihr Andenken, ihre Repräsentation des Sklavenhandels und dessen Nachwirkungen. Beachtenswert ist die Feststellung Marshalls, dass jeder in Nantes im maritimen Handel Beschäftigte auch im transatlantischen Sklavenhandel involviert war.

Diesem Thema nahm sich WOLFGANG REINHARD (Freiburg im Breisgau) unter anderem ebenfalls in seinem Vortrag an. „Wie aus Opfern Täter wurden“ beleuchtete den „afrikanischen Atlantik“, die Mittäterschaft der Einheimischen und deren Reaktionen. Machtverschiebungen führten beispielsweise dazu, dass indigene Sklavenhändler eigene Sklaven hielten, dass afrikanische Sklaven nicht gefangen, sondern von Afrikanern ge- und verkauft werden konnten. Dies war unter anderem möglich, da sich die lokale Elite mit den Kolonialisten arrangierte, um sich Vorteile zu verschaffen. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang „hybride Individuen“, wie die „Cultural Brokers“ sowie die sogenannten „Mimic men“. Letztere versuchten beispielsweise durch konsequente Nachahmung der Kolonialherren, diesen näher zu kommen; „Cultural Brokers“ befanden sich hingegen selten freiwillig in der Rolle des Vermittlers. Dass Kaufleute nicht zu diesen Vertretern gehörten, ließ die an den Vortrag anschließende Diskussion erahnen. Kaufleute vertraten, so Wolfgang Reinhard, nur eine Seite; sie wollten nicht vermitteln.

Der wirtschaftspolitische Vortrag von KLAUS SCHWABE (Aachen) beschäftigte sich mit dem Politiker Jean Monnet und seinem Engagement, Frankreich nach amerikanischem Vorbild zu einer modernen Wirtschaftsmacht zu erheben. Dies war nach Monnet allein durch europäische wie transatlantische Vernetzung möglich – ein ambitioniertes Vorhaben, das keineswegs auf Unterstützung im eigenen Land stieß.

Wirtschaftshistorisch angelegt war auch der anschließende Vortrag von PHILIPP ROBINSON RÖSSNER (Manchester). Seine Abhandlung „Das Meer und die Konzeption von ‚Markt‘ – ‚Konnektivität‘ und Wettbewerb im vorklassischen Wirtschaftsdenken insbesondere des 18. Jahrhunderts“ ließ, ebenso wie der Vortrag des vorangegangenen Referenten, einen direkten Bezug zum Thema der Tagung zunächst vermissen. Jedoch setzte sich der Referent mit den Grundvoraussetzungen europäischen Wirtschaftsdenkens auseinander, die auch den Warenaustausch auf See im 18. Jahrhundert bestimmten. Er konstatierte, dass das „Handels- und Wirtschaftswachstum in den letzten 500 Jahren von Staaten als Akteuren vorangetrieben“ wurde und betonte die symbiotische Verbindung von Märkten und Staaten. Die Untersuchung „freier Märkte“ sei nach wie vor nicht ausgeschöpft, daher biete es sich für zukünftige Forschungen an, auch die maritime Geschichte als Quelle mit einzubeziehen.

Der zweite Tag der Konferenz begann mit einem Beitrag von MICHAEL JEISMANN (Dakar) mit dem eingängigen Titel „Die Liebe geht über das Meer“. Um das Meer als Medium transkultureller Verbindungen vorzustellen, wurde dem Auditorium ein Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer dargeboten, welches eindrucksvoll von der Liebe zweier unterschiedlicher Menschen berichtete. Geschrieben im 19. Jahrhundert, spielte die Geschichte im Mittelalter und erzählte von Gilbert Becket und einer sarazenischen Prinzessin, der er auf dem Kreuzzug begegnet war. „Mit zwei Worten“ – Sehnsuchtsworten – „Gilbert“ und „London“ – war die Frau auf der Suche nach ihrem Geliebten. Sie fand ihn, sie heirateten und bekamen mindestens einen Sohn; der Legende nach den späteren Erzbischof von Canterbury. Begegnungen dieser Art standen nicht allein. Überall, wo entdeckt, erobert und besiedelt wurde, kam es zu Kontakten mit den Einheimischen. Auf beiden Seiten des Meeres gab es gemischte Beziehungen, aus denen auch Kinder hervorgingen. „Das gemischte Paar“, so Jeismann, „war der personifizierte Stresstest“. Für die Geschichtsforschung stellen sich unter anderem die Fragen, was wurde erlaubt, was toleriert, wer war assimilierbar und welche möglichen, diachronen Divergenzen sind in dieser Hinsicht aufzuzeigen. In der anschließenden Diskussion wurde aufgrund der aufgezeigten Denkansätze angeregt, dieses Thema auch in der zukünftigen Sonderausstellung „Europa und das Meer“ darzustellen.

HASSO SPODE (Berlin) betrachtete die welthistorischen Narrative, die in Europa entwickelt wurden und nach wie vor auch außerhalb Europas von Belang sind. Im Mittelpunkt seiner Kritik standen die Versuche, dem eine „Provinzialisierung des Westens“ entgegenzusetzen. Dies sei letztlich eine „innerokzidentale“ Debatte, die sich der „grandiosen Fähigkeit des Westens zur Selbstreflexivität und –anklage“ verdanke. Spode brachte in diesem Zusammenhang insbesondere die Thesen Max Webers ins Gespräch. Gegenwartsbezogen konstatierte er, dass sich die Forschung in einer Phase „retrograder Amnesie“ befände, in der das Wissen um bereits Gewusstes verloren ginge und ermutigte dazu, mehr Historiographiegeschichte zu betreiben, um diesen Diskurs fundierter führen zu können.

Der letzte Beitrag zur Tagung erfolgte durch GERD HOFFMANN-WIECK (Kiel). Die Geschichte der Meeresforschung ist eine Geschichte von Akteuren und innovativer Technik, geprägt von der Institutionalisierung entsprechender Forschungseinrichtungen, der Entwicklung von Expeditionsschiffen bis hin zu ausgefeilter Technik, um den Meeresboden zu vermessen und dessen Veränderungen zu beobachten. Der Referent spannte demzufolge einen Bogen von den schwierigen Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Unter anderem wies er darauf hin, dass die Erforschung der Tiefsee noch immer am Anfang stehe und jede Expedition angesichts der Weite der Meere zur Entdeckung neuer Lebewesen und Pflanzen führe. Besonders erhellend war seine Auseinandersetzung mit dem eklatanten Abbau von Ressourcen und dem Umgang mit Mikromüll – ein Fingerzeig, mit dem auch die Ausstellung „Europa und Meer“ ihren Abschluss finden sollte.

Die Tagung überzeugte insbesondere durch ihre Themenvielfalt. Wenngleich der Schwerpunkt deutlich auf der Frühen Neuzeit lag, gelang es, die europäische Bedeutung, Wahrnehmung und Nutzung des Meeres in Teilaspekten diachron darzustellen, neue Forschungsfragen aufzuwerfen und Anregungen für die kommende Sonderausstellung zu erhalten. Einige Vorträge schienen durchaus aufeinander aufzubauen, andere wirkten isoliert. Mitunter wäre jedoch vor allem bei sehr theoretisch gehaltenen Beiträgen eine summarische Bilanz wünschenswert gewesen, um den Bezug zum Tagungsthema zu konkretisieren.

Konferenzübersicht:

Alexander Koch (Berlin) / Jürgen Elvert (Köln), Begrüßung

Dietmar Rothermund (Heidelberg), Die „Agency“ der Menschen und Mächte im Zeitalter der europäischen Expansion

Ulrich Fellmeth (Stuttgart), Meer und Häfen in der europäischen Antike

Markus A. Denzel (Leipzig), Edelmetalle als „Katalysatoren“ des frühneuzeitlichen Seehandels und der maritimen Entwicklung Europas

William Marshall (Stirling), Port Cities of the „French Atlantic“

Wolfgang Reinhard (Freiburg im Breisgau), Wie aus Opfern Täter wurden. Wandel vom Wissen über die Welt

Klaus Schwabe (Aachen), Monnet und Amerika

Philipp Robinson Rössner (Manchester), Das Meer und die Konzeption von „Markt“, „Konnektivität“ und Wettbewerb im vorklassischen Wirtschaftsdenken insbesondere des 18. Jahrhunderts

Michael Jeismann (Dakar), Die Liebe geht über das Meer. Verbot und Vermischung. Transkulturelle Paare und die Geschichte der Zugehörigkeit

Hasso Spode (Berlin), Max Weber und die Europäizität des Kapitalismus

Gerd Hoffmann-Wieck (Kiel), Die Geschichte der Meeresforschung und ihre mögliche Visualisierung in der Ausstellung „Europa und das Meer“


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